Nachrichten

Die Schule, in der man für das Leben lernt

Engagiert bei der Sache: Das Team der "Schule im St. Josef-Stift", die offziell eine "Schule für Kranke" ist.
Der Unterricht findet in altersgemischten Kleingruppen statt.
Auch Projektarbeit gehört zum Unterricht wie z.B. Miniaturfotografie.

Lehrerteam im St. Josef-Stift unterrichtet mehr als Mathe, Deutsch und Englisch

„Hefte raus! Klassenarbeit!“ Nein, mit solchen Schreckensszenarien müssen Schülerinnen und Schüler der Schule im St. Josef-Stift nicht rechnen. Im Gegenteil: In der Schule für Kranke, wie diese besondere Schulform offiziell im schönsten Schulbehördendeutsch heißt, ticken die Uhren etwas anders. Jährlich rund 450 Schülerinnen und Schüler, jede/r aus einer anderen Stadt, einer anderen Schule, mit einer jeweils eigenen Krankheitsgeschichte: Schema F funktioniert da nicht! Das Lehrerteam meistert somit täglich das Kunststück, für jeden ihrer Schützlinge einen maßgeschneiderten Unterrichtsplan anzufertigen.

Die Schule im St. Josef-Stift ist ein wesentlicher Teil des Therapiekonzepts und trägt verlässlich dazu bei, dass die Kinder und Jugendlichen auch während des stationären Aufenthalts schulisch weiter gefördert werden und den Anschluss in der Heimatschule nicht verpassen. Dabei geht es darum, eventuell vorhandene Rückstände aufzuarbeiten, sogar Klassenarbeiten werden bei Bedarf geschrieben. „Die Schüler kommen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen zu uns. Manche haben von ihrer Schule Arbeitspläne mitbekommen, bei anderen steht im Vordergrund, dass sie während der Zeit in der Klinik, ihre Krankheit in den Griff bekommen“, erzählt Schulleiter Peter Heidenreich.

Somit steht am Beginn immer erst ein „Aufnahmegespräch“. „Hier geht es vor allem darum, Vertrauen aufzubauen und behutsam einen Einstieg zu finden, wo die jeweiligen Probleme in der Schule liegen. Bei vielen geht es um Schmerzen, Ängste und Fehlzeiten“, so Heidenreich. Im Kontakt mit der Heimatschule werde abgestimmt, welche Lerninhalte aufgearbeitet werden sollen.

Erst dann geht es mit dem Unterricht los und zwar in Kleingruppen, in denen drei bis vier Schüler verschiedenen Alters zusammen lernen: Entweder in Partnerarbeit, oder die Großen helfen den Jüngeren. „Dabei geht es nicht nur um reine Stoffvermittlung, sondern auch darum die Selbstständigkeit der Kinder und Jugendlichen zu stärken.“ Denn anders als in der Heimatschule verteilt sich der Unterricht über mehrere kürzere Einheiten, die in den eng gesteckten Therapieplan „eingetaktet“ sind.

Eine Besonderheit in der Schule im St. Josef-Stift ist die Rücksichtnahme auf die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen der Schülerinnen und Schüler. „Wenn die Hände und Finger von Rheuma betroffen sind, versuchen wir, lange Schreibarbeiten durch den Einsatz von iPads oder andere Unterrichtsmaterialien zu ersetzen“, so Lehrerin Stefanie Pütz. Dabei kommt auch die Ergotherapie ins Spiel, wenn es darum geht, die Gelenke durch Stiftverdickungen oder Schienen zu entlasten.

Wenn der Tag der Entlassung naht, dann nehmen die Schülerinnen und Schüler mehr als frisch erworbenen Lernstoff mit. „Es geht auch darum, die Kinder und Jugendlichen wieder auf ihr Umfeld in der Heimatschule vorzubereiten, ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu stärken“, sagt Peter Heidenreich. Schule, Psychologen und Familienbüro – alle unterstützen die jungen Patienten mit ihrer jeweiligen Kompetenz beim Umgang mit ihrer Erkrankung. Dazu gehört zum Beispiel, offen darüber zu sprechen, welche Einschränkungen die Krankheit mit sich bringt, um Mobbing und Hänseleien zu vermeiden und Lösungen für den Nachteilsausgleich zu finden.

Zum Thema "Schule für Kranke"

Es gibt rund 40 staatliche „Schulen für Kranke“ in Nordrhein-Westfalen, neun davon im Regierungsbezirk Münster. Die meisten Schulen gibt es in psychiatrischen Kliniken. Die Schule im St. Josef-Stift wurde bereits 1925 gegründet und ist heute in Trägerschaft der Stadt Sendenhorst. In den sieben Schulräumen im St. Josef-Stift werden schulpflichtige Patientinnen und Patienten von der 1. bis 10. Klasse – bei Bedarf auch darüber hinaus – unterrichtet, wenn sie vier Wochen oder länger in der Schule fehlen. Das Kollegium um Schulleiter Peter Heidenreich unterrichtet in den Kernfächern Mathe, Deutsch, Englisch, Französisch, Latein und bei Bedarf auch in Nebenfächern.

Zu der Schule im St. Josef-Stift gehören auch ein Teilstandort in der Kinderklinik des St. Franziskus-Hospitals Ahlen sowie seit dem 1. August 2019 auch in der Tagesklinik Warendorf, die zur Kinder- und Jugendpsychiatrie Hamm gehört.